12. August 1908, ein Sauwetter wie es im Buche steht. Bleischwer hängt der regennasse Lodenfleck auf den Schultern von Martin Albrecht Martin sen. und bei jedem Schritt quietscht das Wasser in den genagelten Bergschuhen. Seit Stunden ist er schon unterwegs von Pertisau über Achenkirch und das Unterautal hinauf zum Gröbner Joch und hat nichts anderes im Sinn als den verflixten Ölschiefer.
Zwar hatte er 1902 unten am Seeberg den Stollen „Maria“ angeschlagen, aber die Ausbeute wurde immer dürftiger, und so konnte es – Heilige Barbara hilf – wirklich nicht mehr weitergehen. Auch wenn sich die anderen vielsagend an die Stirn tippten, er war überzeugt, dass sich hier die mächtigen Ölsteinadern des Karwendelmassivs fortsetzen mussten. Endlich – der Sturm hatte ihm schon mehrmals den verschwitzten Filzdeckel vom Kopf gerissen – taucht zwischen den Nebelfetzen der Tiefenbach Hochleger auf, eine verwitterte Almhütte in 1700 m Höhe.
Drinnen glimmt noch ein kleines Feuer unter dem mächtigen Kupferkessel, in dem die Senner die Milch zu “Kas” verarbeiten, doch die längste Weil’ rührt sich keine Menschenseele. Während Martin seniors Kleider langsam zu dampfen und zu trocknen beginnen, wirft der einsame Wanderer aus Langeweile immer wieder kleine „Stoandln”, die er vom Boden „aufklaubt“, ins Feuer. Plötzlich fängt ein Stein ganz verhalten an zu brennen. Wie elektrisiert springt Martin Albrecht sen. auf: “Das ist ja ein Ölschieferbrocken!!! Und als er noch ein paar nachlegt, steht für ihn als alten „Stoanaschmecker“ (Mineraliensucher) fest: Von dem „Zuig“ muss es da oben noch mehr geben. Dann nickt er erschöpft ein.
Erst die vom Brennholzsammeln zurückkehrenden Almbauern wecken ihn. Während sich Martin sen. noch den Schlaf aus den Augen reibt, versuchen die Senner mit den zuvor mühsam zusammengetragenen Ästen und “Tschurtschen” (Tannenzapfen) das offene Feuer wieder zu entfachen. Da lacht der ungebetene Gast: “Mander, warum tuat’s nit mit Stoana hoazn?!” und wirft ein paar der überall herumliegenden fettig-braunen Steine in die Glut, die bald wie verrückt zu rauchen beginnt. Zuerst starren die drei Senner wie gebannt auf die gespenstische Erscheinung, dann aber bekreuzigen sie sich unter Anrufung aller Nothelfer und stürzen hinaus ins Freie, denn drinnen geht’s nicht mehr mit rechten Dingen zu.
Nachdem sich das Unwetter gelegt hat, macht sich Martin sen. auf den Weg hinunter in den Tiefenbachgraben, denn er riecht förmlich, dass hier im Bächental, direkt unter seinen Füßen, die bereits erwähnte riesige Ölschieferader verläuft. “Morgen will ich’s wissen”, murmelt er, bevor er sein Nachtlager unter einer weit ausladenden Fichte aufschlägt. Als er am nächsten Tag mit dem Schürfhammer im Geröll herumstochert, wird seine Vermutung zur Gewissheit: Hier muss ein großes Ölschiefervorkommen sein (was 13 Jahre später ein Gutachten von Professor Bruno Zander bestätigt, der von einer Ausdehnung von rund sieben Millionen Tonnen Ölschiefer spricht).
Klammheimlich schleicht sich Martin sen. über Berg und Tal davon, um nicht von einem Jäger oder Förster bemerkt zu werden, der den Fundort, den er heimlich mit seinen Schürfzeichen markiert hat, verraten könnte. Wenig später steht Martin sen. vor dem Berghauptmann in Solbad Hall i. T., um sich seinen Fund offiziell bestätigen zu lassen und die „Mutung“, den Antrag auf Verleihung des „Bergwerkseigentums“, also des „Ölschiefers“, zu stellen. Mit dem „Sanctus“ der Behörde schlug die Geburtsstunde der einzigen heute noch bestehenden Steinölbrennerei im deutschsprachigen Raum im Bächental des Karwendelgebirges.