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Die „Stoanöl-Liesl“

Ein Wunder, dass sie nicht zur Säulenheiligen erkoren wurde, war doch die legendäre „Steinöl-Liesl“, die Schwägerin von Martin Albrecht sen. in der Brennerei im Bächental schon vor dem Ersten Weltkrieg ein „Weiberleut“, das gleichberechtigt neben den echten Knochenarbeit leistenden Männern „ihre Frau“ war. Mit einem Mordstrumm-Holzlöffel rührte die Liesl oft in den riesigen Kesseln das Steinöl um und verarbeitete es weiter (heute machen das automatische Rührwerke). Sie, ein fesches Weiberleut, war aber auch für die Verpflegung zuständig, indem sie für die Mander kochte – einmal Kartoffelgulasch, ein andermal Schmarrn und, wenn sich hin und wieder eine Gams in die Kuchl „verirrte“, ein „g’schmackiges Wildbratl“.

Auch in punkto Mut stand sie den Männern in nichts nach. Als sie eines Tages im Februar 1916 einen Brief von Martin Albrecht sen. aus Trient erhielt, wo er im Ersten Weltkrieg als K.u.K.-Soldat in einer Tragtierkompanie diente, mit der Bitte, im Bächental ein paar Flaschen Steinöl zur Behandlung kranker Pferde zu holen, machte sie sich mutterseelenallein mit der Kraxn auf dem Buckel auf den Weg. Zuerst kilometerweit über den zugefrorenen Achensee, dann mit Schneereifen mühsam vom Unterautal (950 m) hinauf zum tief verschneiten Gröbner Joch (1650 m) und hinunter zur Brennerei (1375 m).

stoanöl
Martin Albrecht sen. als Soldat im 1. Weltkrieg

Doch im letzten fahlen Licht des Tages musste sie mit Entsetzen feststellen, dass die notdürftig errichtete Schwelanlage abgebrannt war. Mit Tränen in den Augen machte sie kehrt. Inzwischen war die Dunkelheit unheilvoll hereingebrochen und der aufkommende Schneesturm raubte der tapferen Liesl fast den Atem. Längst war die einfache „Petroleumfunzel“ erloschen und nur mit letzter Kraft erreichte sie bange Stunden später um Mitternacht die „Maier“-Wirtin in Achenkirch, die zuerst glaubte, ein Gespenst klopfe an die Tür. Ein mitleidiger „Schandi“ (Landpolizist) brachte die durchnässte „Stoanöl-Liesl“, der man vorsorglich eine heiße Schnapssupp’n gegen die „Verkühlung“ eingeflößt hatte, wohlbehalten nach Pertisau zurück. Vermutlich hatten unvorsichtige Wanderer den Brand in der Steinölbrennerei verursacht.

Ein Vierteljahrhundert hat die „Steinöl-Liesl“ im Bächental gebuckelt und nebenbei 20 Jahre lang ihren blinden Schwager betreut, der 1924 sein Augenlicht verlor: In diesem Jahr wollte Martin Albrecht sen. endlich eine Kühlmaschine für den „Pertisauerhof“ anschaffen. Bisher hatten seine Söhne Ernst, Hans, Martin jun. und Sepp Winter für Winter Eisblöcke aus dem Achensee gesägt und im mit Holzkohle isolierten „Eiskeller“ für die warme Jahreszeit aufbewahrt. Als er jedoch am Unglückssonntag die Kältemaschine in Betrieb nahm, klemmte das Zugventil, der Zylinder des Ammoniakbehälters wurde abgerissen und die unter hohem Druck austretende Salmiaklösung verätzte beide Augen des Seniors.

Dieser Schicksalsschlag traf die Familie mit sechs minderjährigen Kindern, die durch die wirtschaftliche Not der Nachkriegszeit ohnehin schon schwer gebeutelt war, besonders hart. Doch jetzt mussten die Buben richtig mit anpacken, und so konnte der blinde Vater mit Unterstützung seiner Familie und der Schwägerin den Betrieb weiterführen. Gebrannt wurde im Bächental immer nach der Sommerfrische, denn solange die „Fremden“ am Achensee im „Pertisauerhof“ und im selbstgebauten „Batzenhäusl“ logierten, mussten die Kinder auch im Gastbetrieb mithelfen, Geschirr waschen, Besteck putzen und Speiseeis rühren.

75 Jahre lang war Liesl, die treue Seele, die große Stütze der Familie Albrecht. Kaum einmal war sie krank, denn sie schwor bis zuletzt auf ihr Steinöl als Allheilmittel. Sie glaubte felsenfest daran, dass es „fast alle“ Wehwehchen kuriert, was sie dazu veranlasste, ihr „Wundermittel“ hin und wieder mit Wasser verdünnt zu trinken – wie andere ihr „Achtele Rötl“. 97 Jahre ist sie alt geworden, und noch heute sprechen alle voller Hochachtung von der „Tante“.

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